Cultural Life

Bekämpfung der Wüstenbildung Ägyptens durch Bewusstsein für die Schönheit und Werte der Natur

„…die Erschaffung eines Ortes, an dem jeder Mensch sein individuelles Potential entfalten kann“

Das Bewusstsein darüber, dass unser ganzes Leben auf fruchtbarem Land und der Landwirtschaft aufbaut, scheint weltweit zu fehlen. In einem Land wie Ägypten, das schwerlich versucht Wüstenbildung zu bekämpfen, ist dies besonders bedenklich. Bildung, Wissenschaft und Forschung, die sich mit der Umwelt und dem Umgang natürlicher Ressourcen beschäftigen, müssen dringend gefördert werden. Andernfalls werden Bodenerosionen erschreckend schnell voranschreiten und tragische Auswirkungen auf das kulturelle Leben, haben, das wiederum von großer Bedeutung für die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung eines Landes ist und stark dazu beiträgt, dass Bewusstsein entsteht.

Ägypten verliert nicht nur Lebensraum, zeitgleich wächst die Bevölkerung rasant – von rund 30 Millionen in den 60er Jahren auf rund 90 Millionen heutzutage. Etwa 40 % der Ägypter sind zwischen 10 und 20 Jahre alt.

Kairos Bevölkerung wächst
Kairos Bevölkerung wächst.

Zur Bekämpfung der Wüstenbildung muss in erster Linie ein Bewusstsein für die Auswirkungen entstehen, die die zunehmende Verschlechterung der Böden kombiniert mit der wachsenden Bevölkerung hat. Aber Bildung ist Mangelware.

Schlechte öffentliche Bildungssysteme

Dabei ist der erste Eindruck gar nicht so schlecht: Öffentliche Bildung ist in Ägypten kostenlos. Doch der Schein trügt. Schulklassen sind überfüllt, nicht selten unterrichtet ein Lehrer bis zu 70 Schüler gleichzeitig. Das Lehrpersonal ist unterbezahlt und somit gezwungen einen zweiten Job anzunehmen, was unumgänglich zu Überforderung führt. Die meisten Schüler müssen aufgrund der großen Klassen Nachhilfeunterricht nehmen. Zusätzlich sind die Schulen und deren Umgebung oft in einem sehr schlechten Zustand. Die Einrichtungen sind alt, kaputt und Hygienestandards fehlen. Die Lehrpläne zielen auf monotones Lernen anstatt auf ein tieferes Verständnis oder die Förderung von selbständigem Denken ab.

Ägypten ist im Global Competitiveness Report von 2012-2013, veröffentlicht vom World Economic Forum, für die Qualität der Grundschulen von 148 Ländern auf den letzten Platz gewählt worden. 2015 wurde die Analphabetenrate auf 25 % geschätzt – eine weitere Folge des schlechten Bildungssystems.

Pupil at SEKEM School
Schüler in der SEKEM Schule.

Orte für kulturelle Aktivitäten, wie Kunst, Musik oder philosophische Diskurse sind rar. So fehlt es an grundlegenden Voraussetzungen, um ein tiefgreifendes Verständnis und Bewusstsein für die Auswirkungen von zunehmender Wüstenbildung zu entwickeln. Wenn die Thematik allerdings nicht den Weg durch die kulturellen und menschlichen Entwicklungsdimensionen findet, wird eine nachhaltige Landgewinnung keine Chance haben. Gleichzeitig wird die Gesamtsituation sich verschlechtern. Das nutzbare Land verschwindet immer mehr und damit auch die Orte, an denen Wissen und Bewusstsein entstehen kann. Ein Teufelskreis.

In SEKEMs ganzheitlicher Vision von nachhaltiger Entwicklung haben kulturelle Themen, wie beispielsweise Bildung, den gleichen Wert wie Ökologie, Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben. SEKEM erkennt die Auswirkungen der Wüstenbildung in diesen vier Dimensionen, sieht aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, die Herausforderungen durch Bewusstseinsbildung in diesen Bereichen zu bekämpfen.

Sensibilisierung für einen bewussten Umgang mit der Umwelt

Die SEKEM-Bildungseinrichtungen, dazu zählen eine Kinderkrippe, ein Kindergarten, eine Grund- und weiterführende Schule, ein Berufsbildungszentrum, eine heilpädagogische Einrichtung und die Heliopolis Universität für nachhaltige Entwicklung, wollen die individuelle Entwicklung von Kindern und jungen Erwachsenen fördern. Sie versuchen durch einen ganzheitlichen pädagogischen Ansatz, basierend auf der Waldorfpädagogik, Bewusstsein und Verständnis zu schaffen. Obwohl die Schulen dem staatlichen Lehrplan unterliegen, erhalten Schülerinnen und Schüler zusätzliche Unterrichtsstunden, die ihre kulturellen und praktischen Fähigkeiten sowie ihre Kreativität stärken. Tischlerei, Töpferei oder Eurythmie (eine Bewegungskunst) gehören genauso zu ihrem Schulalltag wie Aktivitäten in und mit der Natur.

Die Kinder lernen von der Natur
SEKEM Schüler lernen in und von der Natur.

Das SEKEM Environmental Science Center bietet beispielsweise interaktive naturwissenschaftliche Kurse zu Umweltthemen für SEKEM Schüler sowie für Kinder von umliegenden und internationalen Schulen an. SEKEMs Berufsbildungszentrum lehrt acht verschiedene handwerkliche Berufe – ein Schwerpunkt der Ausbildung liegt auf dem nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. So werden etwa die Holzreste der Schreinerei von Kindern der heilpädagogischen Einrichtung zu Spielzeug weiterverarbeitet. Eine andere Abteilung, ist auf erneuerbare Energien spezialisiert und produziert solarbetriebene Wassererhitzer. Die SEKEM Initiative versucht das Thema erneuerbare Energien in alle ihre Institutionen zu integrieren.

Schüler des Berufsbildungszentrums
Schüler in SEKEMs Berufsbildungszentrums.

Heliopolis Universität für nachhaltige Entwicklung

Ähnliche Ziele werden von verschiedenen Abteilungen der Heliopolis Universität für nachhaltige Entwicklung verfolgt. Gegründet unter der Schirmherrschaft der SEKEM Initiative ist sie die erste gemeinnützige Universität im Nahen Osten, die nachhaltige Entwicklung in den Vordergrund stellt. Der Lehrplan zielt darauf ab, die Studenten zu „sozialen Unternehmern“ zu machen, die in der Lage sind, die Herausforderungen von morgen durch Innovation, Zusammenarbeit und Technologie zu meistern. Durch ein neues Verständnis von Lehren, Lernen, Forschen und Praxis erhalten die momentan mehr als 800 Studenten die Möglichkeit, eine ganzheitliche und kritische Denkweise zu entwickeln, was die Grundlage für die Realisierung von Herausforderungen, die Übernahme von Verantwortung und das daraus resultierende Handeln ist.

Lösungen durch Forschung entwickeln

„Bildung und Wissenschaft gehen Hand in Hand. Zusammen sollen sie das Interesse an der Welt fördern und durch Selbsterkenntnis und individuelle Entwicklung ein ganzheitliches Bewusstsein schaffen. Gleichzeitig wird das Vertrauen einer Gesellschaft in die eigenen Fähigkeiten gestärkt wodurch Herausforderungen erkannt und Lösungen entwickeln werden können“, sagt Dr. Ibrahim Abouleish, Gründer von SEKEM und der Heliopolis Universität. Bildung und Forschung müssen sich in die gleiche Richtung bewegen: Forschung kann die Grundlage für intelligente und umweltfreundliche Produkte, ressourceneffizientes Wirtschaften und neue Produktionsmethoden schaffen. Bildung sollte nicht nur der Erwerb von Kenntnissen sein, sondern auch den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen fördern und das Vertrauen in die individuellen Fähigkeiten stärken. So können Probleme selbstständig identifiziert und zum Wohle von Umwelt und Gemeinschaft bewältigt werden.

Studenten der HU installieren eine Photovoltaikanlage
Studenten der Heliopolis Universität erforschen Photovoltaiksysteme.

Seit 1999 forscht die Heliopolis Akademie und seit 2012 die Heliopolis Universität in Bereichen wie biologisch-dynamische Landwirtschaft, erneuerbare Energien, nachhaltiges Wirtschaften und zu Sozial- und Geisteswissenschaften Themen.

Die Augen für die Schönheit der Natur öffnen

Im Arbeitsalltag der Mitarbeiter SEKEMs sind kulturelle und künstlerische Aktivitäten ebenfalls enthalten. SEKEM ist der Auffassung, dass Kunst einen Transformationsprozess einleiten kann, das Bewusstsein der Menschen schult und ihnen durch eine genauere Beobachtung der Umwelt und der engeren Auseinandersetzung mit globalen Entwicklungsfragen hilft sich zu entwickeln. Regelmäßig treffen sich die SEKEM Mitarbeiter zu kulturellen Aktivitäten: Sie arbeiten mit Ton, musizieren oder spielen Theater. Kunst und Kultur fördern den Sinn für die Schönheit und die Werte der Natur und erhöhen dadurch das Bewusstsein für die Umwelt.

SEKEM Mitarbeiter
SEKEM Mitarbeiter bei kulturellen Aktivitäten.

SEKEM stimmt mit Wiliam Thierry Preyer überein, der sagte, dass die Landwirtschaft auf wissenschaftlicher Grundlage betrachtet werden müsse, aber vor allem die angewandten Wissenschaften dabei helfen sollten, ein Verständnis für eine Zusammenarbeit zwischen Mensch und Natur zu entwickeln, da dies die Grundlage für das materielle und geistige Wohlergehen einer Gesellschaft sei. Nur durch Gemeinschaften, die Lernen, Entwicklung und Bewusstsein fördern, kann ein Leben in Harmonie mit der Natur erreicht werden. Deshalb konzentriert sich SEKEM auf die Förderung von Bildung und Kultur, um mit einem nachhaltigen und ganzheitlichen Ansatz gegen Ägyptens zunehmende Wüstenbildung vorgehen zu können und bietet einen Ort, wo jeder Mensch sein individuelles Potenzial entfalten kann.

Christine Arlt

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