Nebeneinander treffen sich jeden Morgen Menschen zu einem Kreis. Sie sprechen die Werte aus, die sie miteinander verbinden. Es ist ein schönes Bild der Gleichheit, das SEKEM seit dem Jahr 1977 Tag für Tag malt. Nichtsdestotrotz arbeitet die SEKEM Gemeinschaft kontinuierlich daran, dieses Bild weiter zu entwickeln. Sie bringt immer mehr Frauen in das Bild, bemüht sich so um mehr Vielfalt und damit auch um mehr Lebendigkeit.
„Von Anfang an hatten wir nie ein Problem, weibliche Arbeitskräfte zu finden“, sagt Konstanze Abouleish, Vertriebsleiterin von NatureTex, SEKEMs Unternehmen für Bio-Baumwolltextilien und Puppenproduktion. Tatsächlich sind die weiblichen Mitarbeiterinnen bei NatureTex omnipräsent – in der SEKEM Firma weben und stricken sie, nehmen an Schulungen und Workshops teil. SEKEM hat Frauen stets ein sicheres Arbeitsumfeld geboten, obwohl SEKEM in einer ländlichen Region mit einer männerdominierenden Kultur gegründet wurde. Die Traditionen der Region waren früher allerdings ausschlaggebend dafür, dass SEKEMs weibliche Mitarbeiterinnen nach der Heirat ihren Job kündigten – eine tief verwurzelte Herausforderung.
„Ich sah das wachsende Selbstvertrauen und die Beharrlichkeit der Mädchen“, Konstanze Abouleish, Vertriebsleiterin von NatureTex
„Das Jahr 2011 hat die traditionellen Muster gebrochen”, erinnert sich Konstanze. „Ich wurde immer gefragt, wo der so genannte Arabische Frühling sei? Ich sah den Frühling auf einmal in dem wachsenden Selbstvertrauen und der Beharrlichkeit der Mädchen, lernen und arbeiten zu wollen – vor allem nach der Heirat oder nach der Mutterschaft“. Es war ein schleichender Prozess, der Jahre dauerte, bis sich eine Veränderung entwickeln konnte. Dieser Prozess brach aber schließlich erfolgreich die veralteten, traditionellen Mauern, welche die Frauenintegration behinderten. Das war vor allem deutlich, als Konstanze sah, dass „die schwangeren SEKEM Mitarbeiterinnen zuversichtlich auf einmal Plätze für ihre Neugeborenen in der SEKEM Kindertagesstätte reservierten – auch schon bis zu neun Monate vor der Geburt“.
Darauf aufbauend hat SEKEM immer mehr Angebote für weibliche Angestellte eingeführt und hilft ihnen, ein Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Berufsleben zu finden: zum Beispiel mit flexiblen Arbeitszeiten, Teilzeitangeboten und Home-Office-Möglichkeiten während Produktionsspitzen. „Wenn wir über Gleichgewicht und die Stärkung der weiblichen Belegschaft sprechen, müssen wir auch die männlichen Angestellten bedenken“, so Konstanze. Daher gibt es bei SEKEM nicht nur Mutterschaftsurlaub, sondern auch Vaterschaftsurlaub. Wenn die Mütter oder Väter dann wieder die Arbeit aufnehmen, bietet SEKEM ihren Kindern Plätze im SEKEMs Kindergarten an.
2012: Startpunkt für die GIZ-SEKEM-Kooperation
Um Frauen wirtschaftlich sowie ihre Integration in die von Männern dominierte Gesellschaft noch weiter zu fördern, startete SEKEM im Jahr 2012 eine Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH. Angefangen hat alles mit einer Analyse zur so genannten geschlechtersensiblen Werschöpfungskette bei NatureTex. Daraus leitete die GIZ dann Empfehlungen für kurz- und langfristige Initiativen zur Förderung der Frauenintegration ab.
Die GIZ-Entwicklungshelferin Anna Kölling organisierte im Jahr 2014 eine Reihe von Aktivitäten zur Geschlechterdiversität, die alle SEKEM Unternehmen erreichten. Zwei Jahre lang baute die Entwicklungshelferin ein hochkompetentes, kultiviertes Umfeld bei SEKEM auf: Neben Maßnahmen zum Capacity Building und medizinischen Beratungssitzungen für alle SEKEM Angestellten etablierte sie auch regelmäßige Workshops zu Geschlechtergleichheit für Schüler und Studenten der SEKEM Schule sowie der Heliopolis Universität für nachhaltige Entwicklung.
Geschlechtergleichheit in neuer Form festgehalten
SEKEM stellte die GIZ-Kooperation in vielen Veranstaltungen vor – beispielsweise bei SEKEMs Girls’ Day, beim Launch des ‘Al Tanwir Magazins’ oder bei einer Filmvorführung zur Kampagne ‘Ana Hunna’. Solche Aktivitäten ebneten SEKEM den Weg, im Jahr 2015 die unternehmenseigene Gender-Strategie für eine ausgewogene Gesellschaft zu veröffentlichen. Die Strategie setzt einen Werterahmen und Regelungen zur Förderung von Frauen. Sie zielt darauf ab, eine Gemeinschaft zu verwirklichen, in der all’ ihre Mitglieder die gleichen Chancen haben sowie ihre individuellen Entscheidungen über ihre Ausbildung, ihre Arbeit und ihren Lebensstil treffen können. SEKEMs Gender-Strategie für eine ausgewogene Gesellschaft hat auch internationale Anerkennung gefunden: Im Jahr 2015 wurde SEKEM von UN Women und der Weltbank mit dem “One Business Community, Equal Opportunity Seal” ausgezeichnet. Im selben Jahr besuchte SEKEM den G7-Gipfel in Berlin, um seine Gender-Strategie zu bewerben.
„Nur visionäre Organisationen, die eher an menschliche Qualität als an Ressourcen glauben, sind diejenigen, die mit einer solchen revolutionären Veränderung umgehen können“, Basmah Metwally, erste Gender Diversity Officer bei SEKEM
„Diejenigen, die es wagen, einen Managementansatz zur Geschlechtervielfalt zu integrieren, sind Pioniere in der Geschäftswelt. Denn es ist ein strategischer, organisatorischer Wandel, der von starkem Widerstand und kulturellen Barrieren begleitet wird“, sagt Basmah Metwally. Nachdem die GIZ-Entwicklungshelferin den Weg vorbereitet hatte und um Nachhaltigkeit zu etablieren, ernannte SEKEM Basmah Metwally im Jahr 2016 zur ersten Gender Diversity Officer. Die ägyptische Genderbeauftragte fördert und kümmert sich um alle geschlechtsspezifischen Aktivitäten, die bei SEKEM stattfinden. „Nur visionäre Organisationen, die eher an menschliche Qualität als an Ressourcen glauben, sind diejenigen, die mit einer solchen revolutionären Veränderung umgehen können, und SEKEM ist definitiv eine von ihnen“, fährt die selbstbewusste Basmah Metwally fort.
Jenseits von Landwirtschaft
Auch in der Landwirtschaft hat SEKEM von Anfang an das Bewusstsein für die Geschlechtergleichstellung gefördert. „Ich fand es sehr aufregend, in der Wüste zu arbeiten und etwas aus dem Nichts zu schaffen“, sagt Angela Hofmann, SEKEMs Landwirtschaftskoordinatorin und eine der Pionierinnen, die bereits Anfang der 80er Jahre zu SEKEM kam. „Eine Frau inmitten männlicher Landwirte zu sein, wie sie und manchmal noch mehr zu arbeiten, hatte seit SEKEMs früher Entwicklung einen großen Einfluss auf die Landwirte, insbesondere in Bezug auf Geschlechtergleichstellung“, so Frau Hofmann, die seit 35 Jahren eine landwirtschaftliche Führungsposition bei SEKEM inne hat.
Hand in Hand: Wirtschaftswachstum und Geschlechtergleichstellung
„Die ägyptische Wirtschaft benötigt dringend qualifiziertes Personal. Um in der Weltwirtschaft konkurrenzfähig zu sein, müssen wir die besten Talente finden und entwickeln – von sowohl Männern als auch Frauen”, weiß Helmy Abouleish. „Wenn wir weiterhin das Potenzial der 49% weiblichen Bevölkerung vernachlässigen, bedeutet dies, dass uns 49% der besten Talente unserer Nation fehlen“, so SEKEMs Geschäftsführer weiter. Das Statement zeigt nicht nur, dass die Marginalisierung von Frauen eine tiefgreifende Herausforderung in Ägypten ist, sondern auch die Notwendigkeit, Geschlechtergleichstellung mit dem Kern von Geschäftspraktiken zu verzahnen. Nur so kann Wirtschaftswachstum erreicht werden.
Der Frauenanteil bei SEKEMs Angestellten beträgt etwa 25 Prozent. Obwohl SEKEM die 50-50-Balance der Belegschaft noch nicht erreicht hat, steigt der Prozentsatz an Frauen Jahr für Jahr an. Ein Dominoeffekt: Wenn wir das Bewusstsein für weibliche Fähigkeiten bei den Gemeinschaftsmitgliedern und insbesondere Jugendlichen steigern, schaffen wir eine ausgewogenen und gesunde Umwelt – und eine Gesellschaft, die fähig ist, innerhalb der sich schnell verändernden Welt zu überleben und die Herausforderungen, die ihre Entwicklung beeinträchtigen, anzugehen. SEKEM ist zuversichtlich, dieses Gleichgewicht im Arbeitsumfeld eines Tages mit der Hilfe der langjährigen SEKEM Freunde, Unterstützer und natürlich auch Mitglieder zu erreichen.
Noha Hussein
Für eine Gesellschaft mit zwei Flügeln – SEKEM feiert Chancengleichheit
SEKEM präsentierte Engagement für Gleichberechtigung auf G7 Gipfel
UN Women finanzierte SEKEM-Besuch
Erfahren Sie mehr über SEKEMs Gender-Strategie