„…die Erschaffung eines Landes in dem die Menschen in sozialen Formen zusammenleben, die die Würde des Menschen wiederspiegeln.“
„Es wird keine Gesellschaft geben, wenn wir die Umwelt zerstören.“ Ein Zitat der Anthropologin Margaret Mead – so simpel, aber auf den Punkt gebracht. Und auch wenn es umgekehrt betrachtet wird, verliert es nicht an Wahrheit. Aus diesem Grund setzt sich SEKEM nicht nur für eine gesunde Umwelt ein, sondern fördert auch eine gesunde Gesellschaft, die die Menschen davon abhält, die Umwelt zu zerstören. Eine Gesellschaft, „in der die Menschen ein soziales Zusammenleben führen, bei dem die Menschenwürde im Vordergrund steht und alle wirtschaftlichen Aktivitäten im Einklang mit ökologischen und ethischen Grundsätzen durchgeführt werden“, wie SEKEM Gründer Dr. Ibrahim Abouleish seine Vision zusammenfasst.
Der Großteil Ägyptens ist Wüste und selbst der kleine Anteil fruchtbaren Bodens nimmt kontinuierlich ab. Ägyptens Gesellschaft muss sich die existentielle Frage stellen, ob in Zukunft genug bewohnbares Land für die Bevölkerung vorhanden sein wird. Die zunehmende Wüstenbildung erschwert die Situation. Land zu verlieren bedeutet gleichzeitig Lebensraum zu verlieren. Es geht einher mit einer zunehmenden Wasserknappheit und schließlich dem Verlust von Nahrungsmitteln. Die Folgen sind steigende Preise und eine immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, wandern aus und fangen an für ihre grundlegenden Bedürfnisse und Rechte zu kämpfen. Dieser Umstand zeigt sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens – angefangen bei der Politik bis hin zu alltäglichen Dingen wie Ernährung, Familie, Unterkunft, Bildung, Gesundheit und vielem mehr.
Eine Gesellschaft braucht einen gesunden und sicheren Ort zum Leben
Dazu gibt es in den letzten Jahrzehnten viele Beispiele. Kürzlich zeigten sich im Rahmen der ägyptischen Revolutionen die Probleme des Regierungssystems und die Unzufriedenheit der ägyptischen Bevölkerung. Die Anzahl der Einwohner Ägyptens hat sich in den letzten 50 Jahren verdreifacht, von rund 30 Millionen im Jahr 1960 auf über 90 Millionen heutzutage. Der Anteil fruchtbaren Landes, der bewirtschaftet werden kann und auf dem die Menschen leben können ist dabei mehr oder weniger gleich geblieben. Eine Folge ist die Landflucht – die Menschen aus ländlichen Gebieten ziehen vermehrt in Ägyptens Hauptstadt. Die Bevölkerung im Großraum Kairo wird heute auf mehr als 22 Millionen geschätzt. Damit zählt Kairo zu den am dichtesten besiedelten Hauptstädten der Welt. Ein Drittel der Menschen in Kairo ist unter 15 Jahre und über 50 % sind unter 30 Jahre alt. Ägypten kämpft mit großen Gesundheitsproblemen, insbesondere der Unterernährung, bakteriellen Infektionen (Ägypten hat weltweit eine der höchsten Hepatitis C-Raten) oder der Luftverschmutzung.
Um diese gesellschaftlichen Probleme zu lösen – und damit das Problem der Wüstenbildung – hat SEKEM die Dimension Gesellschaftliches Leben in die ganzheitliche Vision von nachhaltiger Entwicklung integriert. SEKEM fördert eine friedliche Gesellschaft, die auf Gleichheit, Respekt, Freiheit und Menschenwürde basiert. Aber wie setzt man diese Idee um, gerade in einem Land wie Ägypten, das generell mit vielen Herausforderungen konfrontiert ist.
Gleichheit ist die Säule einer nachhaltigen Gesellschaft
Beginnen wir mit einem einfachen aber gleichzeitig fundamentalen und mächtigen Ritual, das wie selbstverständlich zum Alltag der SEKEM Initiative gehört. Jeden Morgen kommen Führungskräfte, Bauern oder Fabrikarbeiter eines jeden SEKEM-Unternehmens in einem Kreis zusammen und heißen den neuen Tag willkommen. Der Kreis symbolisiert eine Gemeinschaft, in der jeder gleich ist. Er schafft Bewusstsein über das soziale Miteinander und gleichzeitig über jeden Einzelnen.
Um eine gleichberechtigte Gesellschaft zu stärken, konzentrieren sich die Aktivitäten SEKEMs nicht nur auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht, sondern auf alle Menschen, verschiedenen Alters, unterschiedlicher sozialer Hintergründe oder verschiedener Religionen. Eine Kinderkrippe und ein Kindergarten für die jüngsten Mitglieder der Gemeinschaft und verschiedene Schulen fördern Kinder und Jugendliche. Im Berufsbildungszentrum als auch in der Heliopolis Universität für nachhaltige Entwicklung, die unter der Schirmherrschaft SEKEMs gegründet wurde, werden sowohl Handwerker als auch Akademiker ausgebildet. Und SEKEMs Unternehmen produzieren gesunde Produkte für unterschiedliche gesellschaftlichen Bedürfnisse: Biologische Lebensmittel und Getränke, natürliche medizinische Produkte und Kleidung aus Bio-Baumwolle.
Gesellschaftliche Themen werden in alle Bereiche des Geschäfts- und Privatlebens integriert
Der SEKEM Verhaltenskodex enthält all die Werte, die in allen Betrieben SEKEMs angewandt werden. Basierend auf der Vision von nachhaltiger Entwicklung, den Prinzipien des UN Global Compact und den einschlägigen Konventionen der UN und ILO, sind explizite Verpflichtungen bezüglich der Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften, Geschäftsethiken, Anti-Korruption, Arbeitsstandards, Menschenrechte und ökologische Verantwortung festgehalten.
In den Unternehmen werden wöchentlich „Social Meetings“ abgehalten, in denen die Angestellten ihre persönlichen oder arbeitsbedingten Anliegen diskutieren können.
Eine sichere Umgebung und Zugang zu medizinischer Versorgung sind nur einige der Anforderungen für einen menschenwürdigen Arbeitsplatz. Um ein gesundes und sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten, bietet SEKEM regelmäßig Kurse und Schulungen in allen relevanten Bereichen an.
Nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung bedeutet aber nicht nur, sich um das eigene Unternehmen und die Mitarbeiter zu kümmern, sondern auch die Menschen, die in der Umgebung leben zu berücksichtigen. Die SEKEM Farm befindet sich in einem ländlichen Gebiet, etwa 45 Kilometer von Kairo entfernt. Die nahe Nachbarschaft besteht aus kleinen traditionellen Dörfern. Um dazu beizutragen, dass sich der Gesundheitszustand der umliegenden Gemeinschaften verbessert und gleichzeitig die Mitarbeiter medizinisch versorgt sind, gründete SEKEM ein Medizinisches Zentrum. Dort werden Menschen über sanitäre und hygienische Standards aufgeklärt und über Gesundheit, Ernährung, Prävention und Umweltfragen informiert. Jeden Tag werden mehrere hundert Patienten in SEKEMs Medizinischem Zentrum mit einem ganzheitlichen Ansatz behandelt – auch jene, die sich eine Behandlung nicht leisten können. Da Ägypten eines der Länder mit der höchsten Anzahl an Hepatitis C-Erkrankungen ist, hat das Medizinische Zentrum vor kurzem an einer nationalen Kampagne zur Bekämpfung des Virus teilgenommen.
Gleichstellung der Geschlechter: Für eine Gesellschaft mit zwei Flügeln
Das Medizinische Zentrum beteiligt sich auch an SEKEMs Bemühungen, die Rolle der Frauen zu stärken. Regelmäßig werden für die Mitarbeiterinnen Kurse angeboten, in denen Gynäkologen über die Gesundheit von Frauen und Kindern informieren. Auch die weibliche Genitalbeschneidung, die leider noch immer eine weit verbreitete Praxis in Ägypten ist, wird thematisiert.
Um Frauen zu stärken organisiert SEKEM verschiedene Aktivitäten inner- und außerhalb der Unternehmen. Sozialarbeiter begleiten und unterstützen die Mitarbeiterinnen bei beruflichen aber auch persönlichen Angelegenheiten. Außerdem werden den Frauen Weiterbildungen oder Mikrokredite angeboten, um ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu unterstützen. „Wir fördern nicht nur die Gleichstellung der Geschlechter, sondern verfolgen ein weil höheres Ziel: Eine nachhaltige Zukunft“, sagt Helmy Abouleish, Geschäftsführer von SEKEM. „Wir wissen, dass Gleichberechtigung eine grundlegende Voraussetzung für eine nachhaltige Gesellschaft ist.“
Durch jahrhundertalte Traditionen, die vor allem im ländlichen Raum weit verbreitet sind, heiraten viele Frauen sehr früh und widmen sich anschließend ausschließlich dem Familienleben. Aber natürlich braucht die ägyptische Gesellschaft Frauen – und zwar nicht nur als Mütter und Hausfrauen, sondern auch in der Wirtschaft oder dem kulturellen Leben. Um ein neues Bewusstsein für die Rolle der Frau zu schaffen, veröffentlichte SEKEM 2015 eine „Gender Strategy for a Balanced Society“, in der die Ziele und Aktivitäten der Initiative in Bezug auf die Stärkung von Frauen, von der Schule bis hin zu den Unternehmen, zusammengefasst sind.
Verbindungen zwischen Menschen ermöglichen gesellschaftliche Entwicklung
All diese Ansätze sind Antworten auf die Frage was in Ägypten getan werden kann um die Gesellschaft zu stärken. Aber entscheidend ist schlussendlich das „wie“. Und die Antwort lautet: Partner. Egal, wie stark eine Vision und das Engagement für deren Umsetzung sind, niemand kann derart große Veränderungen alleine erreichen. Um eine Gesellschaft zu stärken müssen sich die Menschen verbinden und gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten. Seit den Anfängen in den 1970er Jahren hat SEKEM ein Netzwerk von Partnern aufgebaut, die SEKEM vor Ort unterstützen aber auch die Idee und Vision SEKEMs in ihr Umfeld tragen. SEKEM hat sowohl starke Geschäftspartner als auch eine Vielzahl von Menschen, die mit ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, indem sie sich regelmäßig mit praktischen Aktivitäten vor Ort einsetzen.
Ein weltweites Netzwerk von Freunden, Interessenvertretern und Partnern trägt SEKEMs Vision und unterstützt so die Entwicklung einer nachhaltigen Gesellschaft in Ägypten. So kann diese hoffentlich wachsen und irgendwann in der Lage sein, andere Gesellschaften zu inspirieren – hin zu einem Zusammenleben, das durch einen ganzheitlichen Ansatz Menschen dazu ermutigt im Einklang mit ihrer Umwelt zu leben.
Christine Arlt
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