SEKEMs Champion im Behindertensport: Interview mit Noura Nasser

Die SEKEM-Lehrerin Noura Nasser hat kürzlich den ersten Platz im Gewichtheben bei einer nationalen Meisterschaft für Sportler mit Behinderung gemacht. An dem Wettbewerb, der vom ägyptischen Komitee für Paralympische Spiele organisiert wurde, nahmen Behindertensportler aus zehn verschiedenen Vereinen teil. Darunter auch der „Egyptian Cairo Club“ in dem Noura aktiv ist. Die zierliche junge Frau, die seit Kindertagen auf Krücken angewiesen ist, gewann in ihrer Gewichtsklasse die Goldmedaille indem sie 57 Kilogramm stemmte.

Vor drei Jahren wurde Noura in unserer Reihe “Menschen in SEKEM” als ehemalige SEKEM-Studentin und jetzt Lehrerin in SEKEMs Heilpädagogik vorgestellt. Heute erzählt Noura von ihrer persönlichen Entwicklungsgeschichte, von den Herausforderungen und Chancen als Mensch mit Behinderung in der ägyptischen Gesellschaft und vor allem von ihrem beeindruckenden sportlichen Werdegang. 

SEKEM News: Fünf Gold-, zwei Silber- und eine Bronzemedaille konntest Du bei Meisterschaften im Gewichtheben bereits gewinnen – und dazu noch etliche andere Ehrungen und Urkunden. Wie lange hat es gedauert, bis Du solche Erfolge feiern konntest? Und wie bist Du überhaupt dazu gekommen?

Noura Nasser: Ich habe vor sieben Jahren angefangen professionelles Krafttraining zu machen. Als ich eines Tages auf dem Rückweg von meiner Universität am Busbahnhof wartete, sprach mich Tharwat Sadek, ein Trainer für Behindertensport an. Er fragte mich, ob ich Lust hätte Teil seines Teams im Regierungsbezirk Zagazig zu werden. Er erklärte mir, dass ich durch das ständige Laufen auf Krücken starke Muskeln habe, mit denen ich viel erreichen kann. Ich war zunächst sehr überrascht und unsicher, aber dann entschied ich mich, es auszuprobieren und meine Fähigkeiten zu erforschen.

SEKEM News: Wann hast Du das erste Mal wahrgenommen, dass Du so große Kraft besitzt?

Noura Nasser: Als Kind habe ich das überhaupt nicht wahrgenommen. Mein größter Traum war es damals, zur Schule gehen zu dürfen. Damals war es nämlich in Ägypten überhaupt nicht selbstverständlich, dass Kinder mit Behinderung eine Schule besuchen. Zum Glück hat mir mein Vater aber irgendwann erlaubt, in die SEKEM Schule zu gehen. Dort durfte ich endlich lernen und mich weiterentwickeln. Die Lehrer und meine Mitschüler haben mich dabei sehr unterstützt – manchmal trugen sie mich auf dem Arm oder setzten mich auf ihr Fahrrad, damit ich mit ihnen spielen konnte. Dadurch habe ich äußerlich wie innerlich Kraft entwickelt.

SEKEM News: Wie ging es dann an der Universität weiter? Hast du dort ähnliche Unterstützung erfahren?

Noura Nasser: Als Studentin mit einer körperlichen Behinderung hatte ich an der Zagazig-Universität leider nur begrenzte Möglichkeiten. Das liegt an dem strengen Hochschulsystem. Ich durfte zum Beispiel keinen Studiengang wählen, der praktische Aktivitäten oder Prüfungen, etwa in Laboren beinhaltet. Die Leute denken, dass es für Studenten mit Behinderung zu kompliziert ist, daran teilzunehmen beziehungsweise für die Universität einen zu großen Aufwand darstellt. Außerdem war die Uni zwei Stunden von meinem Zuhause entfernt und die öffentlichen Verkehrsmittel sind für mich oft schwer zugänglich. Aber ich habe mich nicht abschrecken lassen und mein Psychologie-Studium erfolgreich beendet.

„Das Leben ist gerecht zu denen, die an sich selbst glauben und Chance zu schätzen wissen!“

SEKEM News: Dein Erfolg erfordert sicherlich viel Zeit für Trainings. Du arbeitest aber Vollzeit als Lehrerin in SEKEMs Schule für Kinder mit Behinderung. Wie schaffst Du es einen so anspruchsvollen Job auszuüben und dann noch für die Meisterschaften zu trainieren?

Noura Nasser: Ich empfinde meine Arbeit gar nicht als so anstrengend. Ich kann sehr gut nachempfinden, wie es meinen Schülern geht – nicht nur wegen meines Psychologie-Abschlusses, sondern weil ich auch aus eigner Erfahrung weiß mit welchen Schwierigkeiten sie im alltäglichen Leben und in der Gesellschaft zu kämpfen haben. SEKEM setzt sich für unser Recht ein, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. So haben mich auch meine Kollegen und Vorgesetzten in der SEKEM Schule ermutigt, an den Meisterschaften teilzunehmen. Am Anfang habe ich vor allem nach Feierabend, an Wochenenden und in den Ferien auf einem öffentlichen Trainingsgelände geübt. Mittlerweile habe ich mir Zuhause ein Zimmer ausgestattet und mein Trainer, Mohamed El-Sayed, unterstützt mich per Telefon. Ich wünsche mir sehr, dass ich Ägypten eines Tages bei den Paralympischen Spielen im Bereich Gewichtheben vertreten kann.

Noura Nasser (rechts) hat die Goldmedaille im Gewichtheben gewonnen.

SEKEM News: Nimmt das Training Deine gesamte Freizeit ein?

Noura Nasser: Nein, ich spiele auch Geige oder Flöte. Das habe ich schon während meiner Schulzeit in SEKEM gelernt und brauche es als Ausgleich zu meinem Alltag – die Musik bereichert mich sehr.

SEKEM News: An öffentlichen ägyptischen Schulen mangelt es leider an solchen Möglichkeiten. Was fehlt Deiner Ansicht nach besonders, wenn es um die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung geht?

Noura Nasser: Es braucht prinzipiell viel mehr Aufmerksamkeit in der ägyptischen Gesellschaft für Menschen mit Behinderung. In den Schulen und Universitäten werden die Kinder meist immer noch ausgeschlossen oder finden nur wenig Beachtung. Wir sind keine Laster für die Gesellschaft. Wir verdienen die gleichen Chancen auf Bildung und Arbeit, anstatt diskriminiert zu werden. Das fängt in den Familien an. Kinder mit Behinderung müssen auf unterschiedlichste Art und Weise unterstützt werden und vor allem muss ihnen vermittelt werden, dass sie nicht weniger wert sind, als andere Kinder. Ich bin sehr dankbar, dass meine Eltern mich immer gleichwertig behandelt und gefördert haben.

SEKEM News: Was ist Dir besonders wichtig, den Kindern in Deiner Klasse zu vermitteln?

Noura Nasser: Ich sage ihnen, dass es immer Menschen geben wird, die sie als benachteiligt bezeichnen oder behaupten, das Leben sei unfair. Aber das Leben ist fair zu denen, die an ihr Potenzial glauben und jede Chance, die sie bekommen, zu schätzen wissen. Also sollen sie stark bleiben und niemals aufhören an sich zu glauben, weil sie wirklich einzigartig sind und sogar besondere Superkräfte haben.

Interview: Noha Hussein

SEKEM ist stolz auf die Erfolge von Noura Nasser und wird Sie in den SEKEM News weiterhin über den Lauf ihrer Karriere informieren.

Menschen in SEKEM: Noura Nasser
Gelernt, Lernen zu lieben