Noura Nasser erscheint im ersten Moment klein und unscheinbar. Sie benötigt Krücken, um sich fortzubewegen, und ist nicht viel größer als die Kinder, die sie in SEKEMs heilpädagogischer Einrichtung betreut. Doch der Eindruck täuscht: Noura besitzt nicht nur starke Muskeln, sondern auch eine beeindruckende Persönlichkeit. Die ehemalige SEKEM Schülerin hat in ihrem jungen Leben bereits viele Schicksalsschläge erleiden müssen und so zu kämpfen gelernt.
Von Geburt an ist Nouras linkes Bein kürzer als das rechte. Sie kann nur mit Krücken laufen und erlitt lange neben den körperlichen Schmerzen auch den Spott anderer. „Früher gab es noch keine Krücken und ich habe versucht, mich mit Hilfe von Holzstäben fortzubewegen.“ Noura hat in der Tat einen starken Willen: „Mein größter Wunsch war es früher, in die Schule gehen und dann studieren zu können“, sagt die heute 25-Jährige. Als sie durch einen Freund ihres Vaters die Möglichkeit erhielt, die SEKEM Schule zu besuchen, war sie überglücklich. „Die Lehrer und Klassenkameraden haben mir viel geholfen. Wenn wir weitere Wege gehen mussten, haben sie mich getragen oder auf ein Fahrrad gesetzt, sodass ich bei allem dabei sein konnte.“
Nach der Schule wartete die nächste Herausforderung auf die junge Frau. Um die Universität zu erreichen, musste sie eine Fahrt von zwei Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. „Ich wurde oft angesprochen und gefragt, warum ich auf der Straße und nicht Zuhause bin, denn in Ägypten ist es immer noch selten, dass körperlich eingeschränkte Menschen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.“
Aber Noura hat sich nicht beirren lassen. Vor zweieinhalb Jahren machte sie ihren ersten Studienabschluss in Psychologie. Heute betreut sie eine Gruppe von behinderten Kindern in SEKEMs heilpädagogischer Einrichtung.
„Die Arbeit fordert mich sehr aber, ich liebe die Kinder und sie geben mir sehr viel Freude und Dankbarkeit zurück“.
Neben ihrer Arbeit unterstützt Noura ihre sechs Geschwister, die teils auch die SEKEM Schule besuchen, und setzt ihr Studium fort. Sie wünscht sich, einmal eine Einrichtung für Psychologie zu leiten. Durch ihre Lebenserfahrungen und den kürzlichen Tod ihrer Mutter weiß sie, wie wichtig die Aufmerksamkeit für das seelische Leben anderer Menschen ist: „Ich möchte bewirken, dass sich die Menschen besser verstehen und ihnen dabei helfen, ihre Sorgen zu heilen.“
Als Ausgleich zur Arbeit spielt Noura Geige und stemmt Gewichte. „Wenn ich mich über etwas ärgere, dann setze ich meine ganze Wut in Kraft um und trainiere so meine Muskeln, damit ich längere Strecken mit den Krücken laufen kann. Und wenn ich traurig bin, dann hilft mir das Geigespielen dabei, meiner Stimmung Ausdruck zu verleihen.”