„Das Leben ist wunderbar“ – das ist Helmy Abouleishs exemplarischer Leitspruch. So simpel einerseits. Für Helmy Abouleish jedoch so tiefgründig wie charakteristisch. Wer ihn näher kennt weiß, dass er jene Maxime vor allem dann ausspricht, sobald ein Problem auftaucht – mit einem Lächeln, wohlgemerkt. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aus Herausforderungen lernen und diese ausschlaggebend für unsere Entwicklung sind“, sagt der SEKEM Geschäftsführer voller Überzeugung. Und genau das ist es woran Helmy Abouleish tief glaubt: Entwicklung. „Für mich besteht der Sinn des Lebens darin, uns und die Erde auf der wir leben, ständig weiterzuentwickeln.“
Der Sohn des SEKEM Gründers Dr. Ibrahim Abouleish war bereits als Kind sehr aktiv und motiviert. Er spielte Fußball, fuhr Ski, nahm Klavierunterricht und mit 14 Jahren begann er die ersten philosophischen Werke zu lesen. Dabei beschäftigte sich Helmy Abouleish auch ausgiebig mit der Anthroposophie Rudolf Steiners, einer ganzheitlichen Weltanschauung, bei der die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Menschheitsgeschichte in Verbindung mit Spiritualität in die Moderne übertragen werden. Über diesen philosophischen Ansatz versucht der Muslim die Grundfragen des Lebens ganzheitlich zu ergründen, wie beispielsweise die Frage nach der Freiheit im Handeln und Denken des Menschen. Durch intensive Gespräche mit seinem Vater über diese tiefgründigen Themen hat sich zwischen Vater und Sohn eine „fruchtbare Bruderschaft“ entwickelt, die Helmys gesamtes bisheriges Leben prägt.
Auftrag Entwicklung
Geboren und aufgewachsen in Österreich, begleitet Helmy Abouleish seinen Vater mit 16 Jahren in dessen alte Heimat Ägypten. „Hierbei gab es keine Zweifel oder Abschiedsschmerzen. Ich war voller Neugierde und Vorfreude auf das Land, das so anders ist als Europa“, erinnert er sich. Damals sprach Helmy kaum ein Wort Arabisch, lebte sich aber schnell ein in die neue Kultur. Er verbrachte monatelang mit Beduinen in einem Zelt in der Wüste, besuchte gleichzeitig die Deutsche Schule in Kairo. „Ich bin heute sehr dankbar dafür, dass ich diese beiden Kulturen in mir trage und die eine aus der anderen reflektieren kann“, stellt er heraus.
Helmy Abouleish war und ist stets im Auftrag der Entwicklung SEKEMs unterwegs. Ob in seinem Büro in Kairo, auf der SEKEM Farm selber oder bei Konferenzen und Vorträgen auf der ganzen Welt. Man könnte meinen, er käme nie zur Ruhe. Selbst während der täglichen Autofahrten ins Büro führt er ein Telefongespräch nach dem anderen. Mal auf Arabisch, mal Deutsch, dann wieder Englisch. Hier geht es um Finanzen, dort um die Landwirtschaft – Helmy beschäftigt sich mit seinen Mitarbeitern aber auch im Rahmen geistiger Themen, besucht Konzerte oder hält Vorträge über die Bedeutung von Kunst und Kultur für die Entwicklung des einzelnen Menschen. Helmy Abouleish ist nicht einfach nur Geschäftsführer. Er ist ein sozialer, ja, gar ein stark kulturell ausgerichteter Unternehmer. Er ist ein Menschenfreund, mit besonders großem Tatendrang und scheinbar unerschöpflicher Energie.
Getragen von der Gemeinschaft
So war ebenfalls seine Schulzeit in Ägypten durch einen außergewöhnlich breit gestreuten Aktivismus geprägt – als Schulsprecher, Kapitän der Fußballmannschaft oder als Redakteur der Schülerzeitung. Gleichzeitig investierte Helmy seine komplette Freizeit in den Aufbau SEKEMs. „Ich hatte zwar nie einen Masterplan, aber auch nicht die geringsten Zweifel daran, dass die Vision meines Vaters Realität werden würde.“ SEKEM Gründer Dr. Ibrahim Abouleish war bis ins Tiefste überzeugt von seinem Vorhaben, in der Wüste eine Gemeinschaft zu gründen, in der sich Mensch und Umwelt im Einklang entwickeln können, wodurch er auf seinen Sohn und alle anderen Unterstützer motivierend und inspirierend wirkte.
Dass SEKEM allerdings tatsächlich so umfangreich erfolgreich werden würde, wie es die Initiative mit all ihren Institutionen heute ist, damit hatte niemand gerechnet. Selbst Helmy Abouleish, der neben seinem Vater wohl den tiefsten Einblick in alle Bereiche SEKEMs hat, nimmt die Gemeinschaft in der Wüste noch als Wunder wahr. „SEKEM ist zwar aus der Vision meines Vaters entstanden, freilich aber ein Gesamtkunstwerk, das nur durch die Hilfe vieler anderer Hände zustande gekommen ist.“ Und diese Hände tragen nicht nur SEKEM, sondern auch das Wirken Helmys. Eine ganz besondere Rolle nimmt in dieser Gemeinschaft seiner Frau Konstanze ein, mit der er seit 35 Jahren verheiratet ist, vier Töchter hat und die ihn „ständig durch ihre Liebe und Tiefe unterstützt”.
Unternehmer durch und durch
Wenngleich das gemeinschaftliche Miteinander, Kunst, Geisteswissenschaften oder Musik in Helmys Leben von großer Bedeutung sind, ist er doch durch und durch Unternehmer. Bevor er bereits mit 23 Jahren zum Geschäftsführer SEKEMs wurde, machte er ein Praktikum bei Weleda und generierte den ersten Kredit für SEKEMs Kühe, bei der damals soeben gegründeten GLS Bank. Und als sein Vater durch einen plötzlichen Herzinfarkt seinen bisherigen Aufgaben vorübergehend nicht mehr nachgehen konnte, übernahm der junge Helmy von einem Tag auf den anderen die Leitung der SEKEM Hauptgeschäftsstelle in Kairo. Er begleitete die frühen Gehversuche der EBDA (Egyptian Bio-Bioynamic Asscociation) und kümmerte sich um die ersten Vertragsbauern SEKEMs, wodurch sich die biologisch-dynamische Landwirtschaft in Ägypten verbreitete.
Wenig später war es Helmy Abouleish, der SEKEM die ersten europäischen Kunden bescherte. Darunter Ulrich Walter, Geschäftsführer des deutschen Bio-Unternehmens Lebensbaum und Volkert Engelsmann und Willem van Wijk, Gründer von Eosta, einer der größten europäischen Firmen für Bio-Obst, -Gemüse. Außerdem Götz Rehn, Geschäftsführer von Alnatura, einem der erfolgreichsten deutschen Bio-Supermärkte, Peter Segger, Gründer des größten Bio-Unternehmens Großbritanniens, Roland Schätte, Vorreiter im Bereich nachhaltige Tiernahrung und viele mehr, die bis heute von großer Bedeutung für SEKEM sind und gleichzeitig zu Helmys Freunden wurden. Mit ihnen und weiteren Bio-Pionieren gründete SEKEM später die International Association for Partnership in Ecology and Trade (IAP), die für den leidenschaftlichen Sozialökonom eine der wichtigsten Inspirationsquellen darstellt.
Der stets positiv ausgerichtete SEKEM-Geschäftsführer arbeitete schon in der Gründungszeit beinahe Tag und Nacht. Nachdem sein Vater für die Initiative 2003 den alternativen Nobelpreis erhalten hatte, nahm Helmys Engagement allerdings Züge an, die er im Nachhinein als „nicht mehr gesund für meine Entwicklung“ betrachtet. Er jettete von einem hochkarätigen Event zum anderen. Mal aß er mit Angela Merkel zu Abend, mal traf er Barack Obama oder Prinz Charles. Helmy hatte weder Zeit für seine vier Töchter noch für die kulturelle Arbeit, die er doch einst als so wichtig für seine und die Entwicklung SEKEMs eingestuft hatte. Selbst die für ihn so charakteristische Zuversicht schwand. „Ich war gestresst, enttäuscht und nicht sicher, wo es hingeht, weil ich keine Zeit mehr für meine individuelle Entwicklung hatte“, erinnert sich der 55-Jährige. Denn: „Obwohl ich mit all den großen Entscheidungsträgern dieser Welt in Kontakt war, wurde ich immer hoffnungsloser.“
Schicksalsschlag: „Mir wurde klar, dass ich hinter den Gefängnismauern viel freier war als in den letzten Jahren in meiner eigenen Welt.“
Schließlich griff eigendynamisch das Schicksal ein, an das Helmy fest glaubt. Während der ägyptischen Revolution 2011 ließ Noch-Präsident Mubarak etliche Minister und private Aktivisten mit dem Vorwurf der Korruption verhaften. Helmy Abouleish kam für 100 Tage in Untersuchungshaft, bevor die Anklage zurückgezogen wurde. Dieses zunächst tragisch erscheinende Ereignis stellte sich später als eine der wichtigsten Entwicklungsphasen für Helmy heraus: „Das erste Wunder in dieser Zeit war die innere Ruhe, die im selben Moment, als der Staatsanwalt mir die Anklage vorlas, über mich kam. Ruhe, und die Überzeugung, dass was immer Allah für mich vorgesehen hatte auch eine Chance für mich darstellen würde“, erinnert er sich.
Ohne Handy und Computer blieb dem damals 49-Jährigen nichts anderes übrig als sich wieder intensiver mit seiner individuellen Entfaltung zu beschäftigen. Er formulierte bewusst einige Fragen, auf die er Antworten suchte – etwa zu seinem Verhältnis gegenüber dem mythischen Islam, dem Sufismus, über das Wirtschaftssystem der Zukunft oder zu seiner Rolle in der ägyptischen Gesellschaft und in SEKEM. „Mir wurde klar, dass ich hinter den Gefängnismauern viel freier war als in den letzten Jahren in meiner eigenen Welt“, weiß Helmy rückblickend. „Ich hatte plötzlich wieder Zeit zum Lesen, Lernen und Reflektieren. Für all die Dinge, die für mein persönliches Fortkommen wichtig sind und deren Vernachlässigung diesen Prozess in den Jahren zuvor unterbrochen hatten.“
Anstatt im Gefängnis zu resignieren fand Helmy Abouleish zu seiner ursprünglichen Überzeugung zurück, dass Fortschritt entweder durch Einsicht oder Krise entsteht. Da die Einsicht zu spät kam, nutze er die eingetretene Krise. Unter den Mithäftlingen war Helmy dafür bekannt, dass er an keinen „negativen Gesprächen“ teilnahm. Er versuchte jeden Tag mindestens 5000 Schritte zurückzulegen und organisierte abends einen Kultursalon bei dem er mit den anderen Insassen, alles hohe Vertreter aus Politik und Wirtschaft, über Themen wie die Freiheit des Menschen, Gemeinwohlökonomie oder Richtlinien zum Wirtschaften im Koran diskutierte. Abouleish Jr. verkörperte für viele Hoffnung, Optimismus und Lachen, wie er später erfuhr.
Entwicklung durch Einsicht anstatt durch Krise
Heute ist Helmy Abouleish längst wieder klar, dass Familie, Gemeinschaft und die kulturelle wie spirituelle Arbeit von ebenso großer Bedeutung sind wie wirtschaftliches und politisches Engagement. Heute weiß er: „Ich kann mit SEKEM mehr in der Welt verändern, als wenn ich versuche an den ganz großen Rädern der Politik zu drehen. Ich glaube auch nicht mehr daran, dass die Politiker alleine einen Wandel bringen, sondern vielmehr die Zivilgesellschaft und die sozial ausgerichteten Unternehmer.“ Und diese Einsicht möchte er in die Welt hinaus tragen: „Ich will beweisen, dass durch die Synergien von biologisch-dynamischer Landwirtschaft und die Pflege lebendiger Gemeinschaften, die optimalen Voraussetzungen für das Sein und die Entwicklung der Menschen geschaffen sind.“
Überdies haben Helmy Abouleish die 100 Tage Gefangenschaft gelehrt, dass es kein Scheitern gibt: „Es findet immer Entwicklung statt, das ist in der Menschheitsgeschichte so angelegt. Wir können uns jedoch dafür einsetzen, dass sie durch Einsicht anstatt durch Krise geschieht.“
So ist Helmy auch zuversichtlich was die aktuellen Entwicklungen in der Welt angeht. Sei es der fundamentale Islam oder all die Herausforderungen, vor denen Ägypten steht. „Wir sind in einer Krise. Wunderbar. Dann folgt bald der Fortschritt.“ Helmy Abouleish glaubt daran, dass die Aufklärung in der islamischen Welt ganz sicher kommen wird, ebenso wie die Einsicht, dass nachhaltige Formen von Landwirtschaft, Gesellschaft und Wirtschaft unumgänglich sind. Ganz so wie es Goethe bereits formuliert hat: „…und keine Zeit und keine Macht zerstückelt, geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“
Der tiefe Glaube an das Gute und die bedingungslose Zuversicht prägen Helmy Abouleishs Ausstrahlung. Auch wenn der SEKEM Geschäftsführer regelmäßig unter Zeitdruck steht hat er doch meist ein Lächeln oder einen festen, herzlichen Handschlag für sein Gegenüber übrig. Dabei unterstützt ihn nicht zuletzt seine Religion, der Islam. Der Vater und „geistige Bruder“ Abouleish hat ihn auf die Inspirationsquellen im Islam aufmerksam gemacht und somit gezeigt wo Brücken geschlagen werden können.
Helmy Abouleish ist Ägypter, Österreicher, Muslim. Er ist ein philosophisch, anthroposophisch und ganzheitlich inspirierter Suchender – Helmy Abouleish ist ein exemplarischer Weltbürger. Er möchte die nachhaltige Entwicklung in Ägypten und der Welt vorantreiben und vor allem dazu beitragen, dass dies nicht durch Krise, sondern durch Einsicht geschieht. Und: Weil einzig das Leben Entwicklung ermöglicht, ist und bleibt Helmy der festen Überzeugung, dass das Leben wunderbar ist.
Christine Arlt
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