Anfang Juli 2018 nahm SEKEM-Geschäftsführer Helmy Abouleish erneut am Wirtschaftskreis zum Thema „Assoziatives Wirtschaften – Wie finanziert sich die Biobranche?“ teil. Diesmal fand die jährliche Tagung in den Niederlanden statt. Gastgeber war das Bio-Unternehmen „Odin“, das als Genossenschaft die Konsumenten in die Finanzierung mit einbezieht.
Solidarisches Wirtschaften: Eine Herzensangelegenheit, die verbindet
„Das Kapital muss soweit verbraucht werden, dass lediglich noch das bleibt, was als eine Art von Saat für die weitere Anfachung des volkswirtschaftlichen Prozesses, wiederum von der Natur aus, aufgefasst werden kann“, mit diesem Zitat Rudolf Steiners, auf den das Konzept des assoziativen Wirtschaftens zurückgeht, eröffnet Ueli Hurter, Leiter der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum, die Tagung im Niederländischen Doorn. Unter den Teilnehmenden waren Landwirte, Verarbeiter, Händler, Vermarkter und Konsumenten, aber vor allem Menschen, denen eine solidarische Wirtschaftsweise ein Herzensanliegen ist. Alle blicken aus unterschiedlichsten Perspektiven, teilweise kontrovers, auf eine gerechte Wertschöpfung und Finanzierung. Was sie aber alle verbindet, ist das Bestreben, auf ihre Art und Weise, eine nachhaltige Landwirtschaft und Wirtschaft zu realisieren. Koos Bakker, Gründer und bis vor Kurzem Geschäftsführer von „Odin“, betonte die Bedeutung dieser Visions-Gemeinschaft für die Entwicklung seiner solidarischen Genossenschaft: „Die internationalen Treffen der vergangenen Jahre, waren für uns bei ‚Odin‘ von großer Bedeutung, um stets erneut den richtigen Weg einzuschlagen. Nun müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir daraus eine wirkliche Form der Brüderlichkeit erschaffen und diese mehr und mehr in den realen Alltag integrieren können.“
Rendite neu definieren
Der dringliche Bezug zur Praxis, wurde anhand einzelner Beispiele näher beleuchtet und diskutiert. Die „Bio Development AG“ stellte sich als alternatives Finanzierungsmodell vor. Durch eine qualifizierte Minderheitsbeteiligung bleibt das Unternehmertum vor Ort und eine hohe Werteübereinstimmung kann garantiert werden. Durch den Zusammenschluss weniger Aktionäre, die alle für assoziatives Wirtschaften und biologisch-dynamische Landwirtschaft einstehen, finanziert sich die „Bio Development AG“ vollständig selber, ohne die Beteiligung von Banken. Im Kontext der Finanzierungsfrage tauchte unumgänglich das Stichwort „Rendite“ auf. Rasch wurde deutlich, dass es in einem assoziativen Rahmen einer völlig neuen Definition von Begriffen wie „Erträge“ oder „Gewinnen“ bedarf.
In diesen Zusammenhang passte die eindrückliche Präsentation von Volkert Engelsmann, Gründer und Geschäftsführer von „eosta“, einem der der größten Bio-Vertriebe Europas, über die tatsächliche Kostenberechnung von Lebensmitteln. Denn, wie auch bereits SEKEM in der Studie „Zukunft der Landwirtschaft“ für Ägypten belegen konnte, sind die Kosten für unser täglich Brot weitaus höher, als sie in den Geschäftsregalen den Kunden suggeriert werden. Würde man etwa die Auswirkungen auf Umwelt und Menschen in den Preis der Produkte mit einbeziehen – und dazu wird es früher oder später kommen – wären Bio-Lebensmittel bereits heute günstiger in der Herstellung als konventionelle. Noch wird der extreme Verbrauch von natürlichen Ressourcen in der Preisgestaltung weitestgehend ignoriert, sodass immer mehr fruchtbarer Boden schwindet, der Klimawandel verstärkt oder Wasser verschwendet wird – wenngleich wir heute schon in etlichen Bereichen die ökologischen Belastungsgrenzen überschritten haben. Über kurz oder lang wird es also unumgänglich werden, die externen Kosten der Lebensmittelproduktion zu berücksichtigen. Volkert Engelsmann konnte noch einmal verdeutlichen, dass die tatsächliche Kostenberechnung ein grundlegendes Element von assoziativer Wirtschaft und Finanzierung ist. Mit seiner ausführlichen und lebhaften Präsentation über das Engagement von „eosta“ für nachhaltige Verantwortung für Umwelt und Soziales ergänzt durch sein persönliches Kredo „denke groß, handle klein und wachse schnell“, konnte Volkert Engelsmann einen inspirierenden und nachwirkenden Beitrag zur Tagung leisten, der immer wieder durchklang.
„Denke groß, handle klein und wachse schnell.“ Volkert Engelsmann, Gründer und Geschäftsführer „eosta“
Wie Handeln und Wachstum in der Realität aussehen können, zeigte dann der Landwirt Tom Saat, der am Stadtrand von Amsterdam 150 Hektar biologisch-dynamisch bewirtschaftet und in einer assoziativen Form mit der Stadt kooperiert. Tom Saat ist auch ein Zulieferer und Mitglied in der Genossenschaft „Odin“, die über 20 Geschäfte, einen Großhandel, Lieferservice und mehr als 250 Abholstellen betreibt. In einer der „Odin“-Niederlassungen berichtete Thomas Harttung, Vorsitzender von „Sustainable Food Trust“ von seinem Unternehmen „Aarstiderne“, dass über 45 000 Kunden in Dänemark und Schweden mit Bio-Kisten beliefert.
Thomas Harttung ist wie viele andere Unternehmer in der Bio-Branche ursprünglich Landwirt. Dass die Bauern am Anfang der Wertschöpfungskette in den heutigen Wirtschaftsweisen jedoch ganz am Ende der Wertschätzung und Anerkennung stehen und, dass es eines der Hauptaufgaben des assoziativen Gedankens ist, dies zu ändern, darüber schienen sich alle einig. So wurde auch an der im vergangenen Jahr entstandenen „Charter für assoziatives Wirtschaften im Bio-Handel“ weitergearbeitet – sie wurde um Absichten in Bezug auf biologisch-dynamisches Saatgut sowie anwendungsbezogene Forschung ergänzt. Außerdem ging es abschließend noch einmal konkreter um die Problematik der Einhaltung von Demeter-Grundsätzen in der Situation von zunehmenden Kooperationen mit konventionellen Märkten. Eine bedeutsame Entwicklung, die ohne Zweifel auch in Zukunft noch eine große Herausforderung bleiben wird. Nicht zuletzt mit Blick darauf, fasste Helmy Abouleish seine Einschätzung zur Bedeutung und Rolle des Wirtschaftskreises zusammen: „Wir befinden uns momentan in einer großen Umbruchphase – an der Schwelle zu einem Bewusstseinswandel. Wir haben die zukünftige Entwicklung unserer Erde in der Hand. Ich bin glücklich zu sehen, wie alle hier ambitioniert daran arbeiten, etwas zu verändern. Daher bin ich mir sicher, dass sich eine ‚Wirtschaft der Liebe‘ früher oder später auf der ganzen Welt durchsetzen wird – wann dies geschehen wird, liegt allein in unserer Hand.“
Assoziative Wirtschaft gestalten: Entstehung einer Charta für den Biohandel
Bio-Landwirtschaft lohnt sich: Vergleichsstudie über die tatsächlichen Kosten von biologischer und konventioneller Lebensmittelproduktion
SEKEMs Wirtschaft der Liebe