“Wir verpflichten uns, alle unsere Mitbürger von den weiterhin bestehenden Fesseln der Armut, der Entbehrung, des Leids, des Geschlechts und weiterer Diskriminierungen zu befreien,” sagte Nelson Mandela, Friedensnobelpreisträger und der erste schwarze Präsident Südafrikas in den späten 90er Jahren. Mandela und andere Verfechter von Freiheit haben der Menschheit große Dienste erwiesen, indem sie Gesetze zur Verwirklichung von mehr Gleichheit und Demokratie verändert und geschaffen haben.
Eines der vielen Gesichter von Ungleichheit betrifft Kinder in Ägypten
Ungleichheit hat viele Gesichter. Kinderarbeit und die Ignoranz von Behinderten sind in Ägypten zwei Beispiele. In beiden Fällen wird es Kindern verwehrt, die Schule zu besuchen oder sie sind gezwungen, sie vorzeitig zu beenden.
Laut der Ägyptischen Gesellschaft für Demographie und Gesundheit waren 2014 7 % der Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren von Kinderarbeit betroffen – definiert wird Kinderarbeit in dem Fall als Beteiligung an wirtschaftlichen Aktivitäten oder Hausarbeit für mehrere Stunden am Tag. Der Anteil der arbeitenden Kinder ist in ländlichen Gebieten höher als in den Städten. 2016 berichtete die UNESCO, dass 5,6 % von 2,7 Millionen illegal arbeitenden Kindern in Ägypten dies zusätzlich unter gefährlichen Bedingungen ausüben. Die ägyptische Regierung versucht dieser Menschenrechtsverletzung entgegenzuwirken: Im vergangenen Jahr erklärte das Arbeitsministerium, dass durch Kampagnenarbeit mehr als 23.000 Kinder aus über 25.000 Einrichtungen von verbotener Arbeit befreit werden konnten. Rund 19.000 der betroffenen Betriebe waren offiziell registriert, während der Rest informell tätig ist.
2018: Jahr der Menschen mit Behinderungen in Ägypten
Gleichzeitig besteht das Problem der hohen Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung. Behinderte repräsentieren rund 10 % der ägyptischen Bevölkerung und nur knapp 3 % von ihnen haben Zugang zu Bildungs-, Gesundheits-, oder Arbeitsmöglichkeiten, so die Zentrale Agentur für öffentliche Mobilisierung und Statistik (CAPMAS) im Jahr 2017. In dem Zusammenhang ist 2018 ein besonderes und hoffnungsvolles Jahr: 2018 ist in Ägypten zum “Jahr der Menschen mit Behinderung” erklärt worden. Neben der großen Bedeutung von Bewusstseinsschaffung für das Thema wurde zudem ein neues Gesetz eingeführt, das behinderte Staatsbürger in Ägypten unterstützt. Die neue Gesetzgebung verbietet es beispielsweise, Bewerbungen von Menschen mit Behinderung bei gleicher Qualifizierung abzulehnen – ein Problem mit dem beispielsweise die SEKEM-Lehrerin Noura Nasser (sie hat eine körperliche Einschränkung) konfrontiert war, als sie sich für ein Studium einschreiben wollte.
Gleichheit auf individueller Ebene fördern
Noura betreut mittlerweile eine Klasse in SEKEMs Heilpädagogik, wo Kinder mit Behinderungen lernen und ausgebildet werden. Durch verschiedenste und individuell abgestimmte Therapien wie Handwerkstätigkeiten oder künstlerische Aktivitäten, wird hier versucht, behinderte Kinder und auch Erwachsene zu fördern und sie in die Gemeinschaft zu integrieren. Noura Nasser ist ein besonders schönes Beispiel für die Wirkung dieses ganzheitlichen Ansatzes. Sie selber hat es geschafft, trotz ihrer körperlichen Einschränkung, nicht nur einen anspruchsvollen Beruf auszuüben, sondern sogar privat große Erfolge zu erzielen: Kürzlich hat sie in der nationalen Meisterschaft für Behindertensportler die Goldmedaille im Gewichtheben gewinnen können.
SEKEMs Ansatz, jedem Menschen die gleichen Möglichkeiten zu offerieren, individuelles Potenzial zu entfalten, kann auch an einem anderen Projekt erläutert werden. Vor über 20 Jahren wurde das Angebot für die sogenannten “Kamillekinder” von SEKEM ins Leben gerufen. Anstelle arbeitssuchende Kinder wegzuschicken, nimmt SEKEM sie auf und bietet ihnen verschiedene Bildungsprogramme an. Damit sie, wie gewünscht, ein Einkommen erzielen können, führen die Kinder leichte Feldarbeiten aus, wie etwa das Kamille-Ernten, wobei sie allerdings stets von Sozialarbeitern begleitet werden. Diese Schulform ist von der ägyptischen Regierung offiziell anerkannt.
Begegnung irdischer und spiritueller Impulse
SEKEM beschäftigt sich auch mit der Flüchtlingsthematik. So hat SEKEMs Abteilung für Bildung für nachhaltige Entwicklung (ESD) kürzlich beispielsweise Beratungsworkshops für Lehrer an öffentlichen Schulen angeboten, in denen bald syrische Flüchtlingskinder aufgenommen werden. “Wir versuchen dabei das Bewusstsein der Lehrer für die Empfindungen der Kinder zu schulen, die aus Kriegsverhältnissen flüchten”, sagt Mohamed Anwar, der Leiter von SEKEMs ESD-Programm. “Die Kinder brauchen erhöhte Aufmerksamkeit und Unterstützung, um sich in der ägyptischen Gesellschaft angemessen integrieren zu können.”
Das zehnte Ziel für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDG 10) möchte Ungleichheiten innerhalb und zwischen Ländern verringern, um eine globale nachhaltige Zukunft zu verwirklichen. Dazu werden weltweit Initiativen eingeführt und gefördert, die Ungleichheiten in verschiedenen Bereichen entgegenwirken. Dennoch ist es, vor allem auf individueller Ebene dringend erforderlich, mehr Bewusstsein für die Bedeutung von Chancengleichheit zu schaffen. Denn: Ungleichheiten verschiedenster Facetten sind nach wie vor präsent.
Das Gelingen der SEKEM Gemeinschaft ist stark von diesem individuellen und auch spirituellen Ansatz geprägt: “SEKEM wurde aus der Begegnung irdischer und spiritueller Impulse als etwas Neues erschaffen. Alle Religionen und Kulturen haben ihren Platz in SEKEM und wir sind umgeben von den guten Gedanken vieler Freunde aus der ganzen Welt, die SEKEM geistig unterstützen,” so der Gründer Ibrahim Abouleish. Und so ist es bis heute: SEKEM wird von gegenseitigem Verständnis und durch die Chancengleichheit aller Gemeinschaftsmitglieder getragen, sodass in den vergangenen 40 Jahren Menschen von den “Fesseln der Armut, der Entbehrung, des Leids, des Geschlechts und weiterer Diskriminierungen” befreit werden konnten.
Noha Hussein
SDG 4: Zukünftige Generationen ausbilden
Kamille-Anbau auf der SEKEM Farm
Bildung für nachhaltige Entwicklung in Ägyptens Armenvierteln
SEKEMs Champion im Behindertensport: Interview mit Noura Nasser