SEKEM ohne Gamal El-Sayed ist kaum vorstellbar. Er war einer der engsten Vertrauten von SEKEM-Gründer Ibrahim Abouleish und ist das Herz der SEKEM Bildungseinrichtungen.
Als Vater von fünf Kindern und aufgewachsen mit neun Geschwistern, weiß er was es heißt, sich um andere zu kümmern. Der SEKEM-Schulleiter und Lehrer ist ein Allroundtalent: er kocht, hütet die Kinder, betreibt einen kleinen Hof mit Landwirtschaft und Tieren; er kann Schreinern, Fischen und wunderbar Geschichtenerzählen. Gamal liebt es Neues zu lernen und sein Potenzial zu entdecken – und er liebt es andere bei der Entfaltung von Potential zu unterstützen.
Wie alles begann
Zur SEKEM Vision gehörte von Beginn an das Vorhaben Bildungseinrichtungen für die Mitarbeitenden und Bewohner der umliegenden Dörfer zu gründen. Diese Bildungseinrichtungen sollten sich aber von den üblichen Schulen in Ägypten unterscheiden. Ibrahim Abouleish lud dazu Lehrer aus den umliegenden Gemeinden zum Kennenlernen ein – unter ihnen war Gamal El-Sayed. “Wir hinterließen beide einen starken Eindruck aufeinander”, erinnert sich der heutige SEKEM-Schuldirektor. Obwohl dieses Treffen große Neugierde in dem jungen Ägypter hervorgerufen hatte, lehnte er Ibrahim Abouleishs Angebote bei SEKEM zu arbeiten zunächst wiederholt ab. Gamal war zufrieden mit seinem Job als Lehrer und seiner Nebentätigkeit als Krankenpfleger. Aber Ibrahim Abouleish blieb hartnäckig, weil er das besondere Talent des jungen Ägypters erkannte und so konnte der begabte Pädagoge irgendwann nicht mehr anders, als zu akzeptieren.
“Um die Schüler wirklich zu erreichen, muss ich mich selber in ihre Lage versetzen.”
Der ausgebildete Arabisch-Lehrer kümmerte sich zunächst um die ganz kleinen Vorschulkinder, was er mit großer Freude und Inbrunst gestaltete: „Ein Lehrer hat die Fähigkeit und große Verantwortung, seine Schüler zu formen – positive wie negativ. Ich habe zum Beispiel eine besondere Liebe zur Biologie entwickelt, weil ich selber einen Lehrer hatte, der die Inhalte mit Leidenschaft vermitteln konnte,” berichtet Gamal. “Mir ist es aber auch wichtig, den Kindern beizubringen, dass man nicht nur eine Sache besonders gut kann, sondern immer viele unterschiedliche Dinge auszuprobieren sollte.” Ibrahim Abouleish erkannte schnell Gamals Leidenschaft für die Bildung und, dass beide sehr ähnliche Ansichten dazu teilten. Das Vertrauen wuchs, sodass er ihn bald in alle Aspekte der Schule und später auch darüber hinaus in Themen die SEKEM allgemein betrafen einweihte.
Stein für Stein
Ein Jahr nachdem Gamal nach SEKEM gekommen war, forderte Ibrahim Abouleish ihn auf, gemeinsam mit seinen Schülern eine neue Schule zu bauen. Gamal betrachtete dieses Vorhaben zunächst als Zeit- und Kosten-Verschwendung – die Kinder verlangsamten den Bau und es musste ständig von professionellen Arbeitern nachgebessert werden. “Dr. Ibrahim Abouleish war aber bereit, mehr zu zahlen, um den Kindern die Möglichkeit zu geben, sich mit ihrer Schule zu verbinden, so dass sie sich darauf freuten, jeden Tag Zeit in dem von ihnen errichteten Gebäude zu verbringen und sich verantwortlich für die Schule fühlten”, erzählt Gamal. Es dauerte nicht lange, bis der Lehrer die Vision des SEKEM-Gründers erkannte und spürte, wie sich alle mit der Schule verbunden fühlten, die sie mit eigenen Händen erbaut hatten.
Mit gutem Beispiel vorangehen
Gamal El-Sayed ist ein Mann mit vielen Talenten und Fähigkeiten, die er durch seine enge Verbindung mit der Natur entwickelt hat. Er wuchs in dem kleinen Dorf Basatin Barakat auf, wo er jeden Tag um 4:30 Uhr aufstand, um auf den Feldern zu arbeiten. Anders als im Stadtleben müsse man auf dem Land einfallsreich werden und lernen mit den verfügbaren Mittel zurechtzukommen: „Einmal war mein Radio kaputt. Ich brachte es zur Reparatur, aber die Werkstatt war nicht in der Lage das Gerät wieder zum Laufen zu bekommen. Als ich meinem Vater davon erzählte, nahm er sich dem Radio an und ich war sehr überrascht, als es am nächsten Tag wieder funktionierte. So hab ich eine besondere Lebenseinstellung von meinem Vater gelernt: Wenn man bereits gescheitert ist und nichts mehr zu verlieren hat, dann ist der perfekte Zeitpunkt, etwas Neues zu beginnen!” erzählt der langjährige SEKEM Mitarbeiter. Seither hat Gamal keine Angst mehr davor, Neues auszuprobieren, nutzt vielmehr jede Chance, um Neues zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Lernen hört nie auf
Mit dem SEKEM-Gründer Ibrahim Abouleish teilte Gamal El-Sayed unter anderem auch die Überzeugung, dass die Entwicklung der Lehrer niemals endet. Seit jeher kümmert er sich daher um die Lehrerausbildung in SEKEM, mit besonderem Schwerpunkt auf dem Austausch mit anderen Schulen und Lehrkräften. „Um die Schüler wirklich zu erreichen, muss ich mich selber in ihre Lage versetzen. Ich versuche also auch immer ein Lernender zu bleiben, suche nach neuen Wegen und fordere mich selber heraus”, weiß Gamal.
Ungebrochener Glaube
2010 wurde Gamals Familie auf eine schwierige Probe gestellt. Bei Gamals Frau wurde ein Hirntumor diagnostiziert und man rechnete ihr nur geringe Überlebenschancen zu. Die Operation kostete 180.000 EGP, eine Summe, die Gamal nicht besaß. Zur gleichen Zeit verstarben Gamal El-Sayeds Großeltern. Trotz dieses schweren Schicksalsschlags zweifelte er aber nie an seinem Glauben an Gott. Im Gegenteil: „Der Glaube an Gott zeigt sich in solchen Momenten erst wirklich“, erklärt Gamal. Und vielleicht half sein fester Glaube auch dabei, dass sich eine Finanzierungsmöglichkeit für die Operation fand und seine Frau geheilt werden konnte. Mittlerweile führt die Familie wieder ein geregeltes und glückliches gemeinsames Alltagsleben: Gamal kocht, seine Frau erledigt die Putzarbeiten und ihre fünf Kinder wachsen in einem intakten Zuhause auf, wo sie lernen Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig die Freiheit haben ihre Talente zu entfalten.
Der charismatische SEKEM-Schuldirektor ist nicht nur ein beliebter Lehrer, sondern kümmert sich auch um die Geschäftsführung und Öffentlichkeitsarbeit der Schule. Keine Aufgabe scheint für Gamal El-Sayed zu groß oder zu klein zu sein – weil er die SEKEM Schule Stein für Stein mit aufgebaut hat, betrachtet er sie als sein Zuhause.
Nadine Greiss
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