„Wir müssen dazu bereit sein, einzugestehen, dass wir Fehler machen und heute klüger sind als gestern“, sagt Amr, als er mit seinem Jeep über die Felder der SEKEM-Wüstenfarm in Wahat (rund 500 Kilometer südwestlich von Kairo) fährt. Diese Einstellung scheint vor allem für eine erfolgreiche Landwirtschaft in der Wüste von Bedeutung. “Wir experimentieren hier viel, um unsere Arbeit immer nachhaltiger gestalten zu können, zum Beispiel im Bezug auf Bewässerung oder Energie.“ Mit solchen Einblicken wird im Gespräch bald klar, dass der zierliche und bescheiden wirkende SEKEM-Mitarbeiter eine verantwortungsvolle Position innehat. Amr Sabahy ist seit fünf Jahren Leiter der landwirtschaftlichen Aktivitäten aller SEKEM-Farmen.
In der ägyptischen Stadt Banha, im Nildelta, hat Amr Sabahy Agrarwissenschaften studiert; konventionelle versteht sich, denn Bio-Landbau ist erst seit wenigen Jahren überhaupt Thema an ägyptischen Universitäten. Die ersten Berührungspunkte mit der ökologischen Landwirtschaft kamen über einen Professor, der in SEKEM arbeitete und ihn nach seinem Studium fragte, ob er Interesse hätte, im Bereich der Kompostproduktion zu forschen. „Daran habe ich nicht wirklich Gefallen finden können – es war mir viel zu theoretisch“, berichtet Amr. „Ich wollte nach dem Studium zunächst mehr in der Praxis tätig zu sein.“ Amr Sabahy findet es wichtig, dass Landwirtschaft wirklich am Boden gelernt und geübt wird. „Ich hatte so viele Dozenten, die in der Theorie brillant waren, aber die Verbindung zur Praxis nicht herstellen konnten – das ist fatal“, erinnert sich der promovierte Agrarwissenschaftler.
Landwirt mit Herz und Blut
Amr Sabahy selber hat seit frühesten Kindertagen eine intensive Verbindung zur Agrikultur. Gemeinsam mit seinem Vater, der als Bauer auf den Gemüseanbau spezialisiert war, reiste er durch ganz Ägypten und arbeitete auf verschiedenen Feldern mit unterschiedlichen Landwirten. „Während dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt, was mir heute hilft – vielleicht sogar mehr als während des Studiums“, erinnert sich der 47-Jährige. „Die traditionelle Landwirtschaft ist vom Ursprung her eine natürlich biologische und die alten Landwirte haben viel wertvolles Wissen darüber. In Ägypten hat vor allem der Bau des Assuan Staudamms diese ursprüngliche Form zerstört und zu den dramatischen Praktiken mit Pestiziden und Kunstdünger der heutigen Zeit geführt“, erklärt er weiter.
„Hier auf unsere Farm in Wahat, weit in der ägyptischen Wüste gelegen, wollen wir das Potential der frischen Luft und der unberührten Böden nutzen“, berichtet Amr. Seit geraumer Zeit ist der ambitionierte Amr mehrere Tage pro Woche vor Ort, um Sorge dafür zu tragen, dass in Wahat viele weitere Hektar Wüste nachhaltig begrünt werden. „Wir machen dabei wahrlich nicht alles perfekt, aber wir versuchen von Tag zu Tag besser zu werden“, erklärt er und deutet auf die Schläuche hin, die gehäuft neben einigen Feldern liegen. Das Plastik der Bewässerungsschläuche ist in dem harschen Wüstenklima nicht sonderlich langlebig und muss nach einer gewissen Zeit wieder entfernt werden, damit es keine Rückstände im Boden hinterlässt. „Das ist ein aufwendiges Prozedere, aber nötig, damit die Umwelt unbelastet bleibt“, so der Landwirtschafts-Chef.
Charisma, Leidenschaft und Verantwortung
Der charismatische Amr Sabahy scheint bei seinen MitarbeiterInnen gleichermaßen beliebt wie bei SEKEM-BesucherInnen. Den Angestellten begegnet er auf Augenhöhe und beeindruckt mit seiner fachlichen Kompetenz. BesucherInnen gibt er regelmäßig gerne und mit ungetrübtem Enthusiasmus Einblicke in die landwirtschaftliche Arbeit SEKEMs – allgemein Interessierten ebenso wie Fachpublikum. „In dem Kontext habe ich zum Beispiel meine Fremdsprachenkenntnisse verbessern können“, berichtet der 47-jährige Familienvater. Amr hat zwei Kinder, die ihn regelmäßig in SEKEM besuchen. „Mir ist es wichtig, meiner Tochter und meinem Sohn zu zeigen, wo ich soviel Zeit verbringe und ihnen zu erklären warum ich meine Arbeit mit Leidenschaft ausübe“, berichtet er. „Ich träume davon, dass sie eines Tages sehen werden, wie das heutige Wüstenland in Wahat erblüht.“
Amr Sabahy trägt viel Verantwortung und bewirkt viel – mit Leichtigkeit, so scheint es. Er wirkt selten gestresst, nimmt sich Zeit und hat meistens ein Lächeln auf den Lippen. Seine Bescheidenheit sowie seine Liebe zum Tun und die Bereitschaft, Fehler einzugestehen, könnten der Grund dafür sein.
Christine Arlt
Enge Verbindung trotz räumlicher Distanz: Bio-Wissenszentren in Nordafrika
Menschen in SEKEM: Tamer Ahmed Reda